Die Repression nach dem G20-Gipfel 2017 reißt nicht ab: Aktuell wurden 29 Anklageschriften an AktivistInnen verschickt, die an einer von der Polizei zerschlagenen Demonstration im Industriegebiet „Rondenbarg“ teilgenommen hatten – bis zu 70 weitere könnten noch dazukommen. Der geplante Massenprozess ist nicht nur das strafrechtliche Nachtreten gegen DemonstrantInnen die bei dem Angriff der Polizei zum Teil erheblich verletzt wurden, er ist auch der Versuch das Versammlungsrecht weiter zu stutzen und entschlossenen Widerstand als solchen zu kriminalisieren. Dazu werden auch bei der Repression gegen Linke bisher unbekannte juristische Mittel, wie der Vorwurf der Bildung einer „bewaffneten Gruppe“ ins Feld geführt.
Was war passiert?
Am Freitag morgen des G20-Gipfels steckte die gewaltsame Zerschlagung der Welcome-To-Hell am Vortag Demonstration vielen AktivistInnen noch in den Knochen. Trotzdem ließen sich viele nicht einschüchtern und brachen in den Morgenstunden mit hunderten anderen Menschen zu unterschiedlichsten Blockadeaktionen auf, um die Zufahrtswege zu den Messehallen zu blockieren, das Schaulaufen der Mächtigen dieser Welt und die Demonstrationsverbotszonen zu stören.
Unweit des Camps im Volkspark, im Gewerbegebiet Rondenbarg kam es zu einem schweren Angriff der Bullen auf einen Demonstrationszug. Ohne Vorwarnung und unter dem Ruf „Das ist euer Frühstück, ihr Antifa-Fotzen!“ prügelten sie auf alle GenossInnen ein, die sie in die Finger bekommen konnten. Von hinten wurden die Fliehenden von 2 Wasserwerfern beschossen. Ein Teil der Demo versuchte noch kurz sich gegen diesen Angriff mit einigen wenigen Steinen (14) und Pyrotechnik (2) zur Wehr zu setzen, musste sich dann aber auch zurückziehen.
An einem schweren Metall-Zaun, über den einige Leute kletterten um sich in Sicherheit zu bringen, rüttelten die staatlichen Schläger so heftig bis er einbrach und auf einen tiefergelegenen Parkplatz und die DemonstrantInnen dort, stürzte. Die Folge des Überfalls: offene und Trümmerbrüche, Platzwunden, angebrochene Halswirbel, die dauerhaft zerstörte Schulter und damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit eines älteren Aktivisten und viele weitere schwere Verletzungen, die zum Teil immer noch behandelt werden müssen. 59 Festnahmen und U-Haft für mehrere AktivistInnen. Im Fall des 18-jährigen Italieners Fabio mehr als 4 Monate.
Bei diesem Gewaltexzess blieb es aber nicht; um ihn zu rechtfertigen, folgte später eine Öffentlichkeitsfahndung ungeahnten Ausmaßes. Etwa 100 Bilder von Personen, die angeblich im weiteren Umkreis von irgendwelchen Überwachungskameras aufgenommen worden sein sollen, wurden im Internet veröffentlicht. Außerdem kam es zu bundesweit 22 Hausdurchsuchungen – von denen zum Glück schon die halbe europäische Linke im vorhinein wusste.
Mitte September wurden nun 19 AktivistInnen angeklagt, die im Juli 2017 noch unter 21 Jahren waren. Im Oktober folgten dann nochmal 11 Anklageschriften. U.a. wird den Beschuldigten zur Last gelegt, dass bei Ihnen bzw. im näheren Umfeld Seile, Pyrotechnik, Vermummungsmaterial, Zwillen, Feuerlöscher und ähnliche Kleidung gefunden wurde. Die Anklageschrift umfasst 60 Seiten. Die Ermittlungsakte gar über 100 Seiten. Mehr als 70 ZeugInnen sollen vernommen werden. Es wird mit bis zu einem Jahr Prozessdauer und etwa 60 AnwältInnen für die bisherigen Angeklagten gerechnet. Weil völlig unklar ist, wie ein solches Mammutverfahren rein logistisch zu stemmen ist, wurde das Verfahren vom Amtsgericht Altona mittlerweile an das Landgericht in Hamburg übergeben. Möglich ist auch nach wie vor, dass es zu keinem Verfahren in der Form kommt und die genannten Superlative nur dazu dienen sollen ie Angeklagten einzuschüchtern und so zu Geständnissen zu bewegen.
Für was der ganze Aufwand?
Das juristische Ziel der politischen Polizei und Staatsanwaltschaft in Hamburg ist, die bloße Teilnahme an einer missliebigen Demonstration zu kriminalisieren – ohne den mühsamen Umweg, einer einzelnen Person eine konkrete Straftat nachweisen zu müssen. Der in diesem Kontext neue Vorwurf der „Bildung einer bewaffneten Gruppe“, der so enorme, wie weitgehend ergebnislose Ermittlungsaufwand und die Brutalität des Polizeiangriffs an sich, weisen aber über dieses Ziel hinaus: Den Staat stört offensichtlich am meisten, dass seine Opfer nicht völlig wehrlos waren und zumindest in einer etwas günstigeren Situation eventuell in der Lage gewesen wären, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Alles was auf Organisation und Vorbereitung hinweisen könnte, jeder Schritt in Richtung einer Linken, die sich nicht wehrlos der Gewalt des Staates ausliefert, deren Maßgabe für ihre Praxis nicht die bürgerliche Legalität ist, ist eine Gefahr für diesen Staat und wird mit aller Härte bekämpft. Deshalb müssen ein paar Seile und Feuerlöscher herhalten um eine „bewaffnete Bande“ zu konstruieren. Wie notwendig – und gleichzeitig in diesem Fall unzureichend – eine Vorbereitung auf eine Konfrontation mit der staatlichen Schlägerbande ist, zeigt nicht zuletzt der Ausgang des Polizeiangriffs im Rondenbarg selbst.
„Bewaffnete Gruppen“? – Da kennt der Staat sich aus!
Dabei ist die massive Repression gegen alles Linke und der absurde Aufwand der dabei betrieben wird, zwar skurril, folgt aber einer Logik die Teile des Staatsapparates noch zu weit drastischeren Mitteln greifen lässt: Den Führungsetagen bei Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr, aber auch den wichtigen Unternehmerverbänden ist sehr wohl klar, dass das System, das sie verwalten und von dem sie profitieren, ein System der massiven Ungleichheit, der Armut und Perspektivlosigkeit, der Kriege und Krisen ist. Und, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann die nächste Krise mit so einer Heftigkeit einschlagen wird, dass es auch im vermeintlich so ruhigen Deutschland zu massenhaften Widerstand gegen den Kapitalismus kommen wird. In so einem Fall großer Klassenkämpfe, wollen zumindest Teile der Herrschenden uns nicht mehr nur vor Gericht zerren – sie wollen uns dann ganz unbürokratisch erschießen können.
Dafür wollten die Soldaten, Polizisten und Geheimdienstler die sich in den Schattenarmeen von Uniter, Nord- und Südkreuz zusammengeschlossen haben, Leichensäcke und Ätzkalk bestellen. Dafür haben sie Todeslisten erstellt, die Wohnungsgrundrisse linker PolitikerInnen skizziert, dafür horten sie Waffen und Munition. Und weil das möglicherweise nicht ausreicht, werden von Zeit zu Zeit auch faschistische Gruppen über V-Leute finanziert und die Akten anschließend geschreddert.
Und deshalb ist es auch kein Widerspruch, dass Jugendliche die mit einem Seil und einer schwarzen Regenjacke auf einer antikapitalistischen Demo erwischt werden vor Gericht gezerrt werden, während im Fall der Schattenarmeen bisher lediglich eine Person angeklagt wurde. Weil der Staat nun mal nicht neutral ist – sondern das Instrument der Kapitalistenklasse und wesentlicher Akteur im Klassenkampf!
Mit der Art wie wir unsere Kämpfe heute führen, wie wir auf die Repression, mit der seit G20 immer mehr Linke konfrontiert sind, reagieren, entscheiden wir mit ob der Staat und seine Justiz sich weiterhin als vermeintlich „neutrale“ Instanz präsentieren können oder ob ihr klarer Klassencharakter zum Vorschein kommt.
Esther Bejarano, politisch aktive Überlebende der Shoah sagte einmal: „Wer gegen Nazis kämpft kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen“ – gleiches gilt auch in anderen Fällen: Wer gegen den Klimawandel kämpft, kann sich weder auf die CDU noch auf die Grünen verlassen. Wer für ein Informationsrecht über Abtreibung kämpft, kann sich nicht auf die SPD verlassen. Wer für bessere Arbeitsbedinungen oder um seinen Arbeitsplatz kämpft, kann sich im Zweifel nur auf die Solidarität derjenigen verlassen, die in der gleichen Lage stecken. Diese Solidarität gilt es aufzubauen – im Kampf gegen Kapital, Polizei, Justiz und ihren tiefen Staat.
Solidarität aufbauen – Kriminell ist nicht der Widerstand, kriminell ist das kapitalistische System!