Podiumsdiskussion „Perspektive Aufstand? Soziale Kämpfe in Südeuropa und Nordafrika“ mit Aktivist_innen aus Tunesien, Frankreich, Spanien und Griechenland. Freitag, den 10.5., 20 Uhr im Freiheiz; Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1, 100 Meter von der S-Bahn Donnersbergerbrücke (alle S-Bahnen)
„Es geht nicht mehr darum zu warten – auf einen Lichtblick, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht das, was kommt, sondern das, was da ist.“ Mit diesem eindringlichen Appell eröffnete 2007 das „Unsichtbare Komitee“ sein Manifest „Der kommende Aufstand“. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des französischen Originaltexts erschien vielen Menschen der emphatische Bezug auf eine konkrete Logik des Aufstands als abwegig. Dennoch proklamierte der Text: „Von einem Punkt extremer Isolation, extremer Ohnmacht brechen wir auf. An einem aufständischen Prozess ist alles noch aufzubauen. Nichts ist unwahrscheinlicher als ein Aufstand, aber nichts ist notwendiger.“
Mit dem Ausbruch der globalen Finanz- und Akkumulationskrise des Kapitalismus im Jahr 2008 erhielt diese Orientierung auf eine aufständische Perspektive eine unvorhergesehene Aktualität. Denn seitdem kam es zu einer ungeheuren Verdichtung von gleichzeitig stattfindenden Kämpfen, Aufständen und Revolten in verschiedenen Regionen der Welt: Angefangen mit den Unruhen in Griechenland nach der Ermordung des jugendlichen Aktivisten Alexis Grigoropoulos im Dezember 2008; gefolgt von den Aufständen in Tunesien und Ägypten, die im Frühjahr 2011 zum Sturz der autoritären Regime führten; über die in Bürgerkriegen mündenden Revolten in Libyen und Syrien; Zu nennen sind auch die sozialen Kämpfe und Streikbewegungen gegen die Abwälzung der Krisenlasten und das Spardiktat der Troika in Griechenland, Portugal und Spanien; die sich schnell global ausbreitende Occupy-Wall-Street-Bewegung, die Sozialproteste in Israel bis hin zu den heftigen Riots und Plünderungen in Großbritannien und den französischen Vorstädten. Dieser neue Zyklus von Bewegungen und Kämpfen vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise des Kapitalismus lässt die Perspektive eines kommenden Aufstandes konkreter und greifbarer werden.
Wir wollen mit Aktivst_innen aus Südeuropa und Nordafrika über die aufständischen Bewegungen und sozialen Kämpfe in ihren Ländern reden. Dabei geht es uns nicht darum, einen neuen Aufstandshype zu kreieren. Uns interessieren die realen Möglichkeiten und Grenzen aktueller Bewegungen und Kämpfen zur Umwälzung der unerträglich gewordenen Verhältnisse. Wir wollen allerdings die Widersprüche und Rückschläge, mit denen sich die aufständischen Bewegungen konfrontiert sehen, nicht ausblenden. Von dem Erstarken faschistischer und rassistischer Kräfte in Griechenland, über eine zunehmend militarisierte Unterdrückung der sozialen Kämpfe in verschiedenen südeuropäischen Ländern, die Wahlerfolge islamistischer Parteien und Tendenzen gesellschaftlicher Restauration in Ägypten und Tunesien, die Verdrängung emanzipatorischer Kräfte im Zuge der Militarisierung des Konfliktes in Libyen und Syrien bis hin zum raschen Abflauen der Occupy-Bewegungen und der Krisenproteste in der USA, Israel und Europa: Überall sehen sich die neuen Bewegungen und Akteur_innen mit einem massiven Roll Back konfrontiert.
Als weiteres Problem erweist sich die nationale Begrenzung vieler Kämpfe. Während die Strategien der Krisenbewältigung und die Diktate der Austeritätspolitik längst auf der transnationalen Ebene der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds beschlossen und umgesetzt werden, bleibt der Widerstand gegen die brutalen Folgen dieser Politik noch zu häufig auf den nationalstaatlichen Rahmen beschränkt. Koordinierte internationale Protestaktionen, wie beim europäischen Streik- und Aktionstag im November 2012 oder der internationalen Welle selbstorganisierter Flüchtlingskämpfe 2012, sind noch eine seltene Ausnahme.
Fragen nach einer wirksamen internationalen Solidarität und nach der praktischen Vernetzung verschiedener Kämpfe erhalten deshalb eine besondere Bedeutung. Die Verbindung der sozialen Kämpfe in Europa mit den aufständischen Bewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen. Nur so können wir das Mittelmeer von einer tödlichen Zone der Flüchtlingsabwehr und einer brutalen Grenze zwischen Arm und Reich zu einer Zone des Aufstands und des Reichtums der sozialen Bewegungen und Kämpfe machen.
Drängende Fragen stellen sich auch angesichts der stabilen politischen Situation in den nord- und westeuropäischen Ländern. Gerade der Bundesregierung ist es bisher erfolgreich gelungen die Folgen der Krise auf andere Länder abzuwälzen. Steigende Produktivität, niedrige Löhne, prekäre Arbeitsverhältnisse und ein stabiler sozialer Frieden sind die Basis des Exportweltmeisters Deutschland. Das ?Modell Deutschland? wird über Schuldendiktate und Austeritätsprogramme nun auch den europäischen Krisenstaaten mit Gewalt aufoktroyiert. Die Linke reagiert auf diese Entwicklung bisher hilflos und ohne Konzept. Krisenproteste, wie zuletzt die Bloccupy-Aktionen in Frankfurt, blieben isoliert und ohne gesellschaftliche Dynamik.
Wann gelingt es auch hier die Friedhofsruhe aufzukündigen? Welche Rolle kann eine marginalisierte Linke hierbei spielen? Was haben wir rassistischen und nationalistischen Krisenlösungen entgegenzusetzen? Was können wir zu einer transnationalen Aufstandsbewegung beitragen? Mit wem solidarisieren wir uns? Bedeutet die Eskalation zum Bürgerkrieg das Scheitern des Aufstandes? Alle diese Fragen stellen sich angesichts der aktuellen Entwicklungen mit einer neuen Dringlichkeit. Die Suche nach Antworten ist entscheidend für die Zukunft internationalistischer Politik.