Auswertung der Proteste gegen die NATO-Kriegstagung Siko 2012

Die diesjährige NATO-Tagung, die so genannte „Sicherheitskonferenz“ 3.-5.02.2012 in
München, ist wieder vorbei. Mit Temperaturen bis minus 15 Grad gab es wohl die
kälteste Gegendemo aller Zeiten. Eine Bilanz:
Das Aktionsbündnis, das die Anti-Kriegs-Proteste organisiert, begann dieses Mal zum Glück früh damit, sich regelmäßig zu treffen. Trotzdem und trotz der jahrelangen Routine kam es zu unstrukturierten und unnötig bremsenden Diskussionen etwa über das Plakatmotiv, wichtige organisatorische Dinge wie das Fronttransparent wurden sehr spät thematisiert. Eine solidarische Redekultur und eine weitsichtigere klare Aufgabenverteilung muss in kommenden Jahren die Basis für weitere Zusammenarbeit sein. Der Aufruf des Bündnisses zählte dagegen zu den inhaltlich besten der letzten Jahre. Er stellte den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg her und ließ keine Spaltung an der Frage der Gewaltfreiheit zu. Dass am Ende mehr als 90 Organisationen und Initiativen den Bündnis-Aufruf gegen die Sicherheitskonferenz unterstützten und mehrere Gewerkschaftsgliederungen (GEW Stadtverband, ver.di München, ver.di-Jugend Bayern, ver.di-Jugend München) wieder zum Demonstrieren aufriefen, ist ein Erfolg. Auch Attac rief schließlich wieder zur Demo des Aktionsbündnisses auf. Attac hatte 2009 mit einer Einladung des Veranstalters der Sicherheitskonferenz – Wolfgang Ischinger – zur Podiumsdiskussion einen Streit im Bündnis provoziert und daraufhin selbst das Bündnis verlassen.
Was die Mobilisierung des linksradikalen und autonomen Spektrums angeht, hatten wir uns nach den Siko-Protesten 2011 „eine stärkere Beteiligung der lokalen linksradikalen Kräfte, eine bessere Einbindung interessierter Zusammenhänge aus anderen Städten“ und eine breit aufzustellende und damit handlungsfähigere OrdnerInnenstruktur vorgenommen (Zitat aus der Nachbereitung 2011). Entgegen dieser Zielsetzung gelang es leider nicht, die Gruppen aus dem Kafe Marat für antimilitaristische Proteste zu gewinnen. Die bis in den Januar abwartende Haltung einer Gruppe erschwerte die Koordinierung zusätzlich. Proteste gegen die Kriegskonferenz können nicht erst vier Wochen davor geplant werden. Dass Antimilitarismus für einen Teil der „autonomen Szene“ anscheinend nicht mehr „en vogue“ ist, erschwerte die Mobilisierung zusätzlich. Hier gilt es in Zukunft verstärkt die inhaltliche Auseinandersetzung zu suchen.
Früh zeichnete sich aber eine tragfähige überregionale Beteiligung aus Bayern und Baden-Württemberg und die Zusammenarbeit mit der SDAJ München ab. Das Konzept für dieses Jahr sah schließlich einen Internationalistischen Block vor. Die SDAJ München rief zusätzlich zu einem Jugendblock als Teil des gemeinsamen internationalistischen Blocks auf. Unser Aufruf zu einem Internationalistischen Block nahm einen klaren Klassenstandpunkt gegen Krieg ein und setzte bei der alltäglichen Erfahrung kapitalistischer Ausbeutung an. Aufgegriffen wurde auch die Kampagne „Krieg beginnt hier“. Unterstützt haben den Aufruf schließlich: Revolutionäre Aktion Stuttgart, Arbeitskreis Internationalismus Stuttgart, SDAJ München, Interventionistische Linke München, Organisierte Autonomie Nürnberg, radikale linke Nürnberg, Rote Aktion Mannheim, Antifaschistische Linke Freiburg, Revolutionäre Linke Heilbronn.
Auch für 2012 lag das Augenmerk stark auf antimilitaristischen Aktionen im Vorfeld des eigentlichen Siko-Wochenendes. Wochen zuvor wurden während des morgendlichen Berufsverkehrs Transparente wie „Kapitalismus und seine Kriege beenden“ von mehreren Brücken gehängt. Ein Banner markierte das Gelände der Rüstungsfirma Krauss-Maffei-Wegmann mit „Krieg beginnt hier“. Dazu kamen Flugblattverteilungen in Stadtvierteln, anSchulen und in Einkaufszentren. Wenige Tage vor der Siko prangten auf Zeitungskästen in mehreren Vierteln statt der üblichen Boulevard-Schlagzeilen Aufrufe, sich gegen die NATO-Kriegskonferenz querzustellen. Auch Aufkleber und Schablonen-Motive tauchten im Straßenbild auf. Die „Bass against Bombs“-Party lockte mehrere hundert Gäste an. Die Mobilisierungsveranstaltung im Kafe Marat war gut besucht, auch wenn bei frühzeitigerer Werbung mehr BesucherInnen drin gewesen wären. Eigentlich war dieses Jahr keine traditionelle „Jubeldemo“ für Krieg und Rüstung mehr geplant. Dass die „Antikapitalistische Linke Olching“ dann innerhalb weniger Tage einen solchen satirischen Umzug mit „Panzer“, 50 Leuten und super Stimmung noch aus dem Boden stampfte, war eine positive Überraschung.
Die inhaltlichen Schwerpunkte der diesjährigen NATO-„Sicherheitskonferenz“ lagen auf der Diskussion einer verstärkten militärischen Führungsrolle, die Deutschland international spielen soll, und – diktiert durch das aktuelle Geschehen – der zunehmenden Eskalation der Gewalt des syrischen Regimes gegen die Opposition. Als Feigenblätter hatte Organisator Ischinger den Greenpeace-Vorsitzenden Kumi Naidoo sowie die jemenitische Frauenrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman eingeladen, die diese Rolle auch bereitwillig einnahmen. Das Straßentheater-„Monopoly“ der SDAJ „Würfeln um die Welt“ läutete das Protest- Wochenende auf dem Marienplatz am Freitagnachmittag ein. Schautafeln lieferten weitere Informationen über imperialistische Ausbeutung in einzelnen Ländern. Hier verhinderte aber leider bereits der bitterkalte Wind, dass Passantinnen in der Fußgängerzone stehen blieben, um sich zu informieren. Am Samstag gelang morgens noch vor dem Demoauftakt eine konkrete Störaktion gegen die Bundeswehr, die auf einer Ausbildungsmesse am Olympiazentrum vertreten war. Einige AktivistInnen konnten mit Flyern und Transpis den Stand der Bundeswehr für einige Zeit lahm legen und Gegenöffentlichkeit schaffen. Ein gelungener Start in den Tag!
Trotz minus 15 Grad beteiligten sich am 4. Februar nach einer kurzen Auftaktkundgebung schätzungsweise 3000 Menschen an der Demo des Aktionsbündnisses. Zum inhaltlichen Ausdruck der Demo: hier dominierten die Themen Bundeswehr/NATO raus aus Afghanistan, Rüstungsexporte, deutscher Imperialismus und die Unterdrückung der KurdInnen in der Türkei. Highlights der wieder sehr aufwendig gestalteten Kundgebungsmittel: das mitlaufende Brautpaar aus Tod und Heckler&Koch, die Transparente der „Krieg beginnt hier“- Kampagne und das riesige Banner gegen den Imperialismus eutschlands, das vom Kirchturm des „Alten Peter“ entrollt wurde. Der Reggae-Wagen hat sich als musikalisch ansprechender Demo-Abschluss etabliert. Die beeindruckendste Rede hielt die afghanische Frauenaktivistin Malalai Joya. Sie forderte den Abzug aller Besatzungstruppen aus Afghanistan und machte klar, dass Emanzipation nichts ist, was der Bevölkerung eines anderen Landes durch militärische Intervention gebracht werden kann. Und dass die demokratische Bewegung in ihrem Land die Besatzung, die Taliban und die Warlords der Karsai-Regierung gleichermaßen zu Feinden hat.
Im Internationalistischen Block liefen ca. 350 Leute, das waren so viele wie 2011. Mit Jingles vom Lauti, Transparenten und wieder zahlreichen Schildern wie im Vorjahr – die inhaltliche Ausrichtung: „Den Kapitalismus und seine Krisen&Kriege beenden“, „den internationalen Klassenkampf organisieren“, „Krieg beginnt hier“ und „Ausbildungsplätze statt Kriegseinsätze“. Aus Afghanistan geflohene Jugendliche informierten über ihren Widerstand gegen die Zustände im Internierungslager. Die Stimmung war von Anfang an kämpferisch, auf knapp der Hälfte der Strecke konnten Seitentransparente trotz Verbots durchgesetzt werden. Bei mehrfachen Angriffen der Polizei auf den Block gab es zwar mindestens zwei Verletzte, Festnahmen konnten jedoch verhindert werden. Im Anschluss an die Demonstration gab es insgesamt sechs Ingewahrsamnahmen.
Obwohl sich die Medien wieder auf Bilder von Polizeiangriffen auf den Internationalistischen Block konzentrierten, konnten wir auf jedem Foto unsere Inhalte mit Transparenten und Schildern transportieren.
Ein Grüppchen von BefürworterInnen imperialistischer Angriffskriege – insbesondere auf den Iran – wollte am Rande der Demo provozieren. Das gelang glücklicherweise nicht, weil das Häufchen überhaupt nicht wahrnehmbar war. Diese UnterstützerInnen der NATO-Kriegstagung mit USA- und Israel-Fahnen waren im Übrigen die einzigen, die sich an diesem Tag mit Nationalstaaten identifizierten.
Wir werten die diesjährigen Anti-Siko-Proteste und den Internationalistischen Block als Erfolg. Wir hoffen, dass im nächsten Jahr wieder alle linksradikalen Gruppen mit ausdrucksstarken Aktionsformen Teil des Blocks werden. Ein Block mit gemeinsamer inhaltlicher Ausrichtung, der Organisiertheit und Offenheit vereinen kann, ohne  Einteilung nach Altersgruppen, wird im nächsten Jahr unser Ziel sein. Alle regionalen linksradikalen antimilitaristischen Kräfte sollten dazu frühzeitig in eine gemeinsame Planung treten. Der Bedeutung der Tagung als wichtigstes informelles Treffen der NATO-Elite kann aber nur mit einer möglichst überregionalen bis bundesweiten (und am liebsten natürlich wieder internationalen) Gegenmobilisierung Rechnung getragen werden. Deswegen werden wir die Zusammenarbeit mit Organisationen aus anderen Regionen ausbauen und für 2013 noch früher anstoßen. Allerdings gilt es zu schaffen, dass vor allem in München selbst mehr Menschen aktiv werden. Trotz der mageren Beteiligung aus dem lokalen linksradikalen/autonomen Spektrum wollen wir auch im kommenden Jahr die Auseinandersetzung darum führen, dieses zu antimilitaristischem Widerstand – nicht nur zur Siko – zu motivieren. Weiterentwickeln wollen wir auf jeden Fall das Konzept der Aktionen im Vorfeld – Beispiel Bundeswehr-Auftritte oder Stadtviertel. Weg von der Verengung auf die zentrale Gegendemo, aber gleichzeitig mobilisierend. Jede antimilitaristische Agitation muss dabei inhaltlich an der Lebensrealität v.a. von Jugendlichen und jungen Erwachsenen anknüpfen und einen klaren Klassenstandpunkt einnehmen.
Auf ein aktionsreiches antimilitaristisches Jahr 2012!
Antikapitalistische Linke München / al[m]