Hunderte bei Newroz-Feier in München – Delegationsberichte aus Kurdistan

 
Hunderte bei Newroz-Feier in München

Mehrere hundert Menschen haben gestern in München das kurdische
Neujahrsfest Newroz gefeiert. Der Legende nach soll an diesem Tag der
Schmied Kawa den Tyrannen Dehak, der über alle iranischen und kurdischen
Völker herrschte, mit seinem Hammer erschlagen haben. Um den Menschen
diese erfreuliche Nachricht zu überbringen, zündete er ein Feuer hoch
oben in den kurdischen Bergen an. Für die KurdInnen ist das Newroz-Fest
ein Symbol für den Kampf um Freiheit und demokratische Rechte.
In der Türkei wurden die kurdischen Newrozfeiern in diesen Tagen
kurzfristig vom Staat verboten. Die Polizei griff mit Panzern,
Tränengasgranaten und scharfer Munition an. Ein Kurde wurde getötet,
unzählige verletzt und Hunderte verhaftet. Mehrere hundert kurdische
politische Gefangene befinden sich seit Februar im unbefristeten
Hungerstreik für die Freilassung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und
die Einleitung eines Dialoges für eine politische Lösung der kurdischen
Frage. Allein in den letzten drei Jahre verhaftete die Türkei über 10.000
kurdische PolitikerInnen und zivilgesellschaftliche AktivistInnen,
darunter allein sechs Abgeordnete und 17 Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister.
Die Auftaktkundgebung in München fand am Stachus statt, mit Grußworten
solidarischer Organisationen – auch von uns.
Die anschließende Demo zog
lautstark über das Bahnhofsviertel zum Sendlinger Tor, mit Parolen wie
„Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan“ „Kurdistan wird das Grab des
Faschismus sein“ und „Deutsche Waffen raus aus Kurdstan“. Ausklang dann am
Marienplatz mit einem traditionellen Newroz-Feuer. Bis auf einen
türkischen Nationalisten, der am Rand provozierte, kam es während der Demo
nicht zu Zwischenfällen. Leider gab es auch Repression: die Polizei nahm
einen Kurden in Gewahrsam, nur weil er „Es lebe Öcalan“ gerufen haben
soll.
Insgesamt ein kämpferisches Neujahrsfest, von dem wir noch einiges lernen
können.
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Grußwort der al[m] auf der Auftaktkundgebung


Liebe Genossinnen und Genossen,
wir von der Antikapitalistischen Linken München al[m] überbringen Euch
unsere solidarischen Grüße zum Newroz-Fest, dem Symbol des Kampfs für die
Freiheit und gegen Ausbeutung und Unterdrückung
NEWROZ PIROZ BE !
Genossen von uns – die sich in diesen Tagen in Kurdistan befinden –
konnten dort am Sonntag erleben, mit welchem machtvollen Widerstand die
kurdische Bevölkerung die Unterdrückung und den Terror des türkischen
Staates beantwortet. Trotz des willkürlichen Verbots der Newrozfeiern
strömten Hunderttausende auf die Straßen von Istanbul und Amed, haben
Polizeibarrikaden, Tränengasgranaten und Wasserwerfer überwunden. Und
unsere Genossen wurde heute Zeugen, wie türkische Polizei in Gever mit
scharfer Munition auf friedliche Newrozfeiernde geschossen hat.
Wir nehmen Anteil am Tod von Haci Zengin, den die türkische Polizei am
Sonntag in Istanbul mit einer Gasgranate ermordet hat.
Doch es ist, wie Selahattin Demirtas sagte: „Den Freiheitsmarsch dieses
Volkes kann keine Polizei, kein Militär, keine Kraft stoppen.“
Der deutsche Staat steht an der Seite des türkischen Regimes, die
Bundesregierung unterstützt die Politik der Verleugnung der kurdischen
Identität, unterstützt Krieg und Massaker an Kurdinnen und Kurden. Der
deutsche Staat unterdrückt hierzulande die Meinungs- und Pressefreiheit
der kurdischen Bevölkerung – etwa durch das Verbot von RojTV. Und der
deutsche Staat kriminalisiert die kurdische Befreiungsbewegung durch das
Verbot der PKK und den Paragrafen 129b. Bundeswehr und deutsche
Rüstungskonzerne liefern Waffen für die türkische Armee.
So etwa Leopard 2-Panzer – die von Krauss-Maffei Wegmann in München-Allach
produziert werden.
Lasst uns dieser Allianz der imperialistischen Staaten unser Bündnis als
Internationalistinnen und Internationalisten entgegenstellen. Kämpfen wir
gemeinsam gegen Krieg und Militarismus!
Wie es die gefallene Internationalistin Andrea Wolf sich wünschte, wollen
wir hier eine Bewegung aufbauen, die den Krieg angreift und unmöglich
macht, ihm den Nachschub kappt. Eine Bewegung, die die antikurdische
Kriegsmaschinerie lahm legt.
Im antimilitaristischen Bündnis versuchen wir dazu einen Beitrag zu
leisten. So wie am Wochenende, als auf den „Azubi & Studientagen“ im M.O.C
ein Werbestand der Bundeswehr erfolgreich gestört werden konnte.
Und gemeinsam lasst uns den antifaschistischen Selbstschutz organisieren.
Gegen deutsche Neonazis, die mit staatlicher Duldung rassistische Morde
begehen können. Gegen türkische Faschisten, die aufmarschieren dürfen, um
Kurdinnen und Kurden anzugreifen.
Egal ob NPD oder Bozkurt – kein Fußbreit dem Faschismus!
Unsere internationalistischen Grüße zum Newrozfest gehen auch nach
Kurdistan. In die Berge von Kandil. In die Gefängnisse, zu den
Hungerstreikenden. Und in das Gefängnis auf Imrali.
Freiheit für Abdullah Öcalan, Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Frieden in Kurdistan – Deutsche Waffen raus aus Kurdistan!
Weg mit dem Verbot der PKK!
Hoch die Internationale Solidarität!

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Zwei Berichte von Teilnehmern einer der internationalen
Beobachter-Delegationen in Kurdistan, aus der Stadt Gever (türkisch:
Yüksekova)

Türkischer Staat greift kurdische Newroz-Feiern an – Polizei schießt auf
Demos

Die Türkei hat kurzfristig die Feiern der kurdischen Bevölkerung zum
kurdischen Neujahrsfest Newroz rund um den 21. März verboten. Trotz der
Verbote gingen Millionen KurdInnen in den vergangenen Tagen auf die
Straße, um ihre lange vorbereiteten Feiern durchzuführen. Die türkische
Polizei setzt Straßensperren, Panzer, Wasserwerfer, Gasgranaten gegen die
Menschen ein – und die Sicherheitskräfte schießen auch mit scharfer
Munition! In Istanbul ermordete die Polizei am Sonntag einen Funktionär
der Friedens- und Demokratiepartei BDP, die die Feiern organisiert.
Überall kommt es seit dem Wochenende zu schweren Angriffen der Polizei,
vielerorts muss sie aber angesicht des entschlossenen Widerstands der
kurdischen Bevölkerung das Feld räumen.
Genossen aus München sind als Teilnehmer einer der internationalen
Beobachter-Delegationen in Kurdistan. Aus der Stadt Gever (türkisch:
Yüksekova) gab Kerem Schamberger (DKP) gestern (20. März) folgenden
telefonischen Bericht über die Polizeiattacken:
„Wir waren am Sonntag auf der verbotenen Newroz-Feier in Amed, an der bis
zu einer Million Menschen teilgenommen haben. Zu Beginn wurde auch dort
der Platz von Polizisten umstellt, aber die Übermacht der Menschen war zu
groß, als dass man die Feiern hätte verhindern können. Der Platz wurde
freigekämpft. Es gab dort auch Verletzte, aber es war ein Sieg der
kurdischen Bewegung.
Ich glaube, dass der massive und brutale Polizeieinsatz heute in Yüksekova
eine Revanche für die Niederlage der Polizei in Amed ist. Hier in
Yüksekova sollte friedlich gefeiert werden. Die Leute sind zu Tausenden
auf die Strasse gegangen, aber die Polizei ging dazwischen. Hubschrauber
haben Gasgranaten abgeworfen, Wasserwerfer wurden eingesetzt. Wir sind
über Umwege in die Innenstadt gelangt, überall waren Barrikaden aufgebaut
worden. Wir sind jetzt mit dem Parlamentsabgeordneten Adil Kurt unterwegs.
Mit dabei auch der Bürgermeister von Yüksekova und der Präsident des
Landtags. Auch die Parlamentarier wurden heute mit den Wasserwerfern
angegriffen.
Die Bevölkerung wehrt sich mit Steinwürfen auf die gepanzerten Fahrzeuge.
Die Polizei gibt inzwischen auch Warnschüsse ab, Scharfschützen sind auf
den Dächern postiert. Angeblich soll auch ein Polizist verletzt worden
sein, unter den Demonstranten gibt es einige Schwerverletzte.“
kommunisten.eu

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Hier ein Bericht von Hamburger Delegierten über den 20. März in
Gever/Yüksekova. Gever und Hakari werden wie die meisten kurdischen Städte
in der Türkei von der Partei BDP regiert:

„Spontan von der Stadtverwaltung in Hakkari/Colemerg eingeladen, brechen
wir zu der Newroz-Feier in Yüksekova/Gever auf. Die Stadt liegt einige
Fahrstunden entfernt kurz vor der iranischen Grenze.
Der Weg schlängelt sich durch die verschneiten Berge, in Begleitung der
offiziellen Vertreter_innen aus Hakkari/Colemerg passieren wir die
Straßensperren ohne Kontrolle, zu unserer Verwunderung.
In Yüksekova/Gever kommen wir in den Auseinandersetzungen zwischen
kurdischer Bevölkerung und Polizei an und versammeln uns in einer Bäckerei
zur Begrüßung.
Die Geschäfte sind fast alle geschlossen und verriegelt, der einzige
Verkehr auf den Straßen sind gepanzerte Polizeifahrzeuge, Räumpanzer und
Wasserwerfer. Das Tränengas brennt in der Nase.
Weiter entfernt gibt es Auseinandersetzungen, Steine und Molotow-Cocktails
werden geworfen, ein Panzerfahrzeug geht in Flammen auf. Jubel um uns
herum.
Wir starten mit einem Führer einen Rundgang durch die Stadt, versuchen um
die Kämpfe herum auf einen Hügel zu kommen, um über die Stadt schauen zu
können. Der Weg führt durch Gassen, Hinterhöfe, enge Pfade durch hohen
Schnee vorbei an Scharfschützen auf Dächern und kleinen Barrikaden. Dabei
stehen Frauen, Jugendliche und Kinder, teils in traditionellen Kleidern
und vermummt. Der Widerstand scheint von diesen Gruppen getragen zu
werden. Aber auch alte Männer laufen mit Steinen in der Hand durch die
Straßen.
Manchmal fliegen Gasgranaten in den Weg, es brennt in Nasen und Augen, wir
ziehen uns die Schals vor Mund und Nase. Wir kommen auf eine Hauptstraße
und müssen durch eine größere Menschenmenge.
Die Polizei schießt Tränengasgarnaten in die Menge, Jugendliche greifen
mit Steinen an, es fallen Schüsse. Ein heftiger Knall und Jubel, ein
gepanzertes Fahrzeug scheint fahrunfähig zu sein. Wir beschließen die
Szene zu verlassen und suchen durch eine Seitengasse den Rückweg zur
Bäckerei.
An der Kreuzung vor der Bäckerei werden wir Zeugen, wie bewaffnete
Polizisten aus den gepanzerten Fahrzeugen springen und mit ihren Pistolen
in die Luft schießend auf die Menschenmenge zulaufen. Über uns
Schnellfeuergewehre aus den Stockwerken des Hauses an der Ecke in Richtung
der Menschenmenge. Es gibt Verletzte, auch auf Seiten der Polizei. Wir
wechseln die Straßenseite und ziehen uns in die Bäckerei zurück.
Von dort aus beobachten wir weiter die Auseinandersetzungen, diesmal
wieder von der Rückseite, hinter den Polizeilinien. Ein zerstörter
Wasserwerfer wird an uns vorbei die Straße hinunter aus der Schusslinie
gebracht. Erneut Jubel um uns herum.
Plötzlich stürmt ein Polizist mit Schnellfeuergewehr in Begleitung des
Polizeichefs auf uns zu: „Die deutsche Delegation soll rauskommen! Alle
sofort rauskommen!“ Wir sollen um die Ecke aus der Linie gehen. Wir fühlen
uns schlecht, die Volksvertreter allein in der Bäckerei zu lassen, bleiben
in der Nähe.
Dann verlassen sie zu einem Rundgang das Lokal, wir folgen.
Wir kommen zu einem kleinen Straßenfest, Musik, Tanz und Jubel als die
Volksvertreter auf den Platz kommen. Nach kurzer Zeit geht es weiter,
wieder zur Menschenmenge auf der Hauptstraße.
Einige Jugendliche tanzen, andere haben begonnen einen Kameramasten zu
fällen.
Wir beobachten die Szenerie, es fallen Freudenschüsse aus einer
Kalaschnikow. Die Polizei hat sich ein Stück zurückgezogen. Wir ziehen uns
in ein Haus an der Seite zurück. Vom Balkon aus beobachten wir das kleine
Fest: Tanz, Gesang, Gewehrfeuer. Dann sprengen die Jugendlichen den Mast
mit der Kamera, und nach einigem Hin und Her fällt er.
Dann der plötzliche Aufbruch. Zusammen mit den Leuten der Stadtverwaltung
Hakkari fahren wir wieder zurück, ohne Kontrollen und mit hohem Tempo. Wir
kommen heil im Hotel an und haben einen unglaublichen Tag erlebt.
Hohen Respekt gegenüber der Bevölkerung, die trotz dieser Repression ihr
Freiheitsfest feiert!“
Newroz Delegation aus Hamburg 2012
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